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Die Macht der Farben

Teil 1: Die richtige Frage stellen

Wie hängen Farben und Emotionen zusammen?

Das frage ich ChatGPT. Die künstliche Intelligenz teilt mir mit, dass es ein komplexes Thema sei, über das es keine allgemeingültigen Aussagen gäbe. Dennoch bekomme ich eine Liste von Farbassoziationen. Sie speist sich aus Bedeutungen, die uns allen vertraut sind. Es ist ein Kompendium von Klischees. Zum Beispiel:

Rot: Wird oft mit starken Gefühlen wie Liebe, Leidenschaft, Wut und Heftigkeit assoziiert.

Für Aussagen dieser Art gibt es keinen einzigen wissenschaftlichen Beweis. Was aber lässt Ihr Herz höherschlagen, wenn Sie rote Rosen in den Händen eines geliebten Menschen sehen? Warum haben Sie Angst, wenn Sie auf dem Heimweg Rauch sehen und ein rotes Feuerwehrauto an Ihnen vorbei rast?

Solche visuellen Szenen lösen in der Tat Emotionen aus. Rot ist unbestreitbar in beiden Szenen involviert, aber die Rosen könnten auch rosa sein oder das Feuerwehrauto orange.

Es gibt keine nachweisbare Beziehung zwischen der Farbempfindung "Rot" und Gefühlen wie Liebe oder Gefährlichkeit.

Ich habe die letzten Tage damit verbracht, die aktuellen Übersichten der Wahrnehmungswissenschaft, der Farbwissenschaft und der Philosophie der Farbe zu studieren. Übereinstimmend gelangen die Forschenden zur Erkenntnis, dass es beim Farbsehen nicht darum geht, Farben wie Rot, Blau oder Weiss zu sehen. Tatsächlich geht es beim Farbensehen um etwas anderes.

Die Farbforschung der letzten Dekaden beruhte auf der Annahme, dass die Fähigkeit Farben zu sehen der Farbtonerkennung diene. Man unterscheide Rot von Grün, Gelb von Blau und belege, auf eine bislang unbekannte Art und Weise, diese Erkenntnisse mit Emotionen, so die Theorie, die so banal klingt, dass sie trotz unzähligen Widersprüchen nicht hinterfragt wird. Experimentell hat man Probanden Farbkarten gezeigt und gebeten, ihre dazugehörigen Assoziationen aufzuschreiben. Auf diese Weise wurde ein Wissensfundus geschaffen, der sich in der Architektur-, Werbe-, Design- und Chat-GPT-Community durchsetzen konnte.

Die ChatGPT Antwort auf meine Anfrage (1.1.2024/08:00). Die Liste fasst die gängigen Vorurteile zusammen. Das macht sie nicht richtig! Meine These lautet, dass diese Vorurteile in keinem Zusammenhang zur räumlichen Wahrnehmung stehen. Als Gestaltungsanleitung führen sie oft zu unguten Konzepten. Wir werden die gesamte Liste mit einem praxistauglichen, fundierten Repertoire von Wahrnehmungseigenschaften ersetzen.

Die Fähigkeit Farben zu sehen diene der Farbtonerkennung: Es klingt fast wie eine Tautologie! Dennoch zeichnet sich ab, dass es nicht zutrifft.

Was also bringt uns die Fähigkeit tatsächlich, Rot von Grün und Blau von Gelb unterscheiden zu können? Die Kernfrage lautet: Wie erfasst unser Sehsinn farbige Bilder, und wie belegt er diese mit Emotion?

Obwohl diese Frage für Architektur, Innenarchitektur und Design von zentraler Bedeutung ist, wurde sie im Zusammenhang mit der Raumwahrnehmung noch nicht systematisch untersucht. In meinen nächsten Blogbeiträgen trage ich Forschungsergebnisse und ihre Bedeutung für die Design-Community zusammen. Sie erfahren, wie Farbe, Raum und Emotionen zusammenhängen.

Im nächsten Beitrag erfahren Sie, was Ihr Sehsinn tatsächlich bei Tag und bei Nacht auswertet. Sie wissen bereits, dass es nicht Farbtöne sind!

Ein frohes neues Jahr!

Katrin Trautwein

Titelfoto: Shutterstock/NASA

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