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Himmelblau und Abendrot

Kulturträger Pigmente

Farben und Farbkonzepte spiegeln die Kultur einer Gesellschaft. Die Pigmente in den Farben sind die Kulturträger. Sie werden als Kulturträger und Kommunikationsmittel in ihrer Bedeutung unterschätzt! In diesem Beitrag beschreibe ich zwei besondere Pigmente, die man einsetzt, wenn man Himmelblau oder Abendrot herstellen möchte.

Sind nicht Pigmente selbst bereits Kunstwerke, Erzeugnisse handwerklichen Könnens und Kreativität, grossartige Stoffe von herrlicher Eleganz? Philip Ball, 2001.¹ Foto Lukas Lienhard, Zürich

Seit Menschengendenken wird alles dafür getan, schöne Farben zu beschaffen. Sie wurden Verstorbenen als Mitgift geschenkt, Lebenden als Prestigesymbol umgehängt und Bauten als Stimmungsmacher auferlegt. „Discerning in the use of concrete the possibilities of the „open plan”, free of space-clogging walls, I turned to the architectural polychromy to define space and to give it variety, for color responds to life’s motions. The use of many colors causes life to flourish “, hatte Le Corbusier 1943 notiert.² Pigmente sind die Träger dieser Farbkultur. Erste Pigmentfunde aus Höhlen in Kenia sind mehrere Hunderttausend Jahre alte. Kein Land der Erde war zu fern gelegen und kein Gift zu giftig, wenn es darum ging, schöne Farben zu gewinnen.

Der Lapislazuli hat eine Geschichte, die ebenso alt wie unsere Kultur ist. Der Begriff Lapislazuli bedeutet einfach blauer Stein. Die wichtigsten Fundorte sind in Afghanistan, von woher der Halbedelstein per Seeweg hergeholt werden musste. 1464 schrieb der Italiener Filarete in seinen Abhandlungen der Architektur (Trattato dell’architettura) dass „ein feines Blau aus einem Stein von jenseits des Meeres kommt, darum nennt man es Ultramarin“.³ Lapislazuli besteht aus dem blauen Mineral Lazurit, meist mit Katzengold (Eisenpyrit) und mit Marmorkristallen vermengt. Die Extraktion eines hochwertigen Pigments ist ausserordentlich aufwändig: der fein zermahlene Stein muss mit Harz, Öl und Wachs in Lauge geknetet und mit heissem Wasser wiederholt begossen werden, wobei sich der gesuchte blaue Lazurit im Waschwasser aus dem Gemenge herauslöst. Der wertvolle, wässrige Rückstand wird getrocknet und zermahlen, um das begehrte Pigment zu erhalten.

Erste belegte Verwendungen des Halbedelsteins als Pigment und nicht als Schmuckstein stammen von den Afghanischen Ajanta Höhlen im 6. Jahrhundert⁴ nach Christus. Im Westen erscheint hochwertiger Lapislazuli in Sakralmalereien und in Buchmanuskripten ab ca. 1200. Bis lange nach dem Mittelalter wurde das Kleid der Jungfer Maria mit Lapislazuli gemalt, und Itten und andere Farbtheoretiker haben die Vermutung geäussert, dass dies an der spirituellen, himmlischen Qualität der blauen Farbe liegen muss. Die transzendenteste aller Farben, schrieb Yves Klein. Philip Ball vermutet, dass die hohen Kosten des Pigments und Prestige mehr damit zu tun haben könnten, als es manchem Schöngeist Recht ist. Vor dem Zeitalter des Prestigewagens bot der Lapislazuli dem Auftraggeber eine seltene Gelegenheit, anderen seinen Wohlstand zu zeigen.

In Padua in der Arena Kapelle schmücken grosse Flächen des Lapislazuli Pigments Wand- und Deckenfresken.⁵ Marcel Proust schrieb einst dazu: Die gesamte Decke… und der Hintergrund der Fresken sind so blau, dass man meinen könnte, das strahlende Tageslicht sei mit dem Besucher eingetreten.

Lapislazuli-Himmelblau in der Cappella degli Scrovegni (Arenakapelle) in Padua mit Giotto di Bondone Fresken. Bild unter Lizenz von Shutterstock

Minderwertige Lapislazuli Steine oder die Extraktionsrückstände wurden häufiger zu Himmelblauen Farben verarbeitet, vor allem in den Handelsstädten Italiens. Die grobkristalline Struktur des Halbedelsteins erzeugt luftig leichte Blaunuancen, die fast übergangslos in den echten Himmel verschmelzen. Die Kosten einer mittleren Himmelblauen Farbe, hergestellt aus chilenischem Lapislazuli mittlerer Qualität, belaufen sich heute auf etwa 300 Franken per kg. Wem das zu teuer war, musste lange warten bis es eine günstigere Möglichkeit gab, eine Himmelblaue Farbe herzustellen.

Blaupigmente blieben lange rar. Glücklicherweise verwendete der Chemiker Diesbach 1704 verunreinigten Glaubersalz (Pottasche) als er Karmin aus der Schildlaus gewinnen wollte. Dabei entstand tiefblaues Eisencyan- oder Preussich- oder Pariserblau, ab 1750 ein verbreitetes Blaupigment in Europa und noch heute unter Künstlern beliebt. Aufhellungen mit weissem Pigment werden grünlich oder graustichig – Picasso verwendete gerne diese melancholischen Töne in den Malereien seiner blauen Periode. Seine Himmel sehen verhängt oder gewittrig aus, und Pariserblau ist in der Tat ein schönes Pigment für düstere Himmelfarben und für schöne Grünmischungen, nicht aber für leichte, sommerliche Himmelblaunuancen.

Im Jahre 1824 schrieb die französische Regierung einen Wettbewerb aus: sie wollte 6000 Franc Preisgeld demjenigen verleihen, der Ultramarinpigment auf künstlichem Wege produzieren und für weniger als 300 franc per kg verkaufen konnte. Nahezu gleichzeitig meldeten Gmelin in Tübingen, Guimet in Toulouse und Köttig in Meissen ein Herstellungsverfahren an, bei dem weisse Porzellanerde, Soda, Kohle, Sand und Schwefel erhitzt und gewaschen werden und der blaue Rückstand zu reinem künstlichen Ultramarinpigment gemahlen wird. Guimet erhielt den Preis und begann 1828 damit, das Pigment für 400 franc per Pfund zu verkaufen – ein Zehntel des Preises des aufbereiteten natürlichen Pigments.

Ab 1870 war das künstliche Ultramarinblau ein Standartpigment auf der Künstlerpalette. Cezanne setzte es neben derbe Erdfarben und erzielte dadurch unvergleichlich schöne Wirkungen. Einige Jahrzehnte später befasste sich Yves Klein mit dem Pigment und seiner auflösenden Wirkung. Er entwickelte eine Rezeptur für ein kräftiges synthetisches Ultramarinblau in einem matten, lösemittelhaltigen Polymerbindemittel und brachte das sogenannte Internationale Klein Blau IKB zu Weltruhm. Vor der Entdeckung des Bindemittels war er fast verzweifelt darüber gewesen, dass die klebende Qualität des Bindemittels ihm die pudrig matten Pigmentkörnchen verhüllte. Er suchte die Magie des Pigments, nicht die Flächenwirkung einer bunten Haut! Das Yves Klein Blau, besser gesagt: sein Blaukonzept, ist faszinierend. Die Flächen ziehen einen magisch an, um sich einem sofort wieder zu entziehen – wie der Himmel.

Le Corbusier nutze diese Qualität des Ultramarinpigments in seiner Architektur. Wollte er einen schmalen Raum oder eine niedrige Decke verschwinden lassen, so liess er die drückende Seitenwand oder die Decke mit hellem Ultramarin anstreichen. So wird ein Tunnel erweitert, eine Säule verschwindet, die grell weisse, auffallende Decke wird zum fernen Himmel (Weiss bedeutet gut zu sehen, schrieb Le Corbusier). Mit Ultramarinblau steht uns noch heute ein Pigment zur Verfügung, welches leichte und zurückweichende Farben und Flächen erzeugt – neben Lapislazuli kommt es dem Himmelblau am nächsten.

Abendrot herzustellen ist eine schwierigere Aufgabe. Abendrot ist eine Stimmung, ein Wolkengemisch, eine Angelegenheit, der man sich am ehesten annähern sollte mit einer wolkigen Pünktchen-Malerei aus Pinselstrichen von vielen transparenten Farbtönen, Farben in einer Bandbreite von einem zarten Violett über Purpur und Orangerot bis zu einem luftigen Rotgold, wenn es so etwas nur gäbe. Auch wenn ich mit einem Finger auf ein Farbfeld in einem Farbfächer deute: das Rosa, das ist es am ehesten! Eine damit gestrichene Wand wird mich bodenlos enttäuschen.

Ein Pigment für Abendrot muss leicht und transparent sein, nicht im Geringsten erdig, nicht grobkörnig und auf keinen Fall dumpf. Gleichzeitig muss die Farbe decken – wahrlich keine leichte Aufgabe. Zwei wunderschöne rote Pigmente der Antike, Zinnoberrot und roter Ocker, sind zu dicht, zu deckend und zu derb oder erdig in ihren Aufhellungen. Sie sind rot, aber nicht abendrot. Natürliche Farbstoffe aus Tieren und Pflanzen sind transparent und leuchtend – wie Purpur. 300 nach Christus kostete 1 Pfund Purpur 3 Jahresgehälter eines Bäckers.⁶ Es ist heute noch seltener geworden. Man kennt den Tyrischen Purpur seit 1500 v.Chr.; das Gerücht besagt, dass der Gott Herkules es entdeckte als er Purpur am Mund seines Hundes sah und realisierte, dass es von der grad genüsslich gefressenen Muschel kommen muss. Zehntausend Muscheln liefern ein Gramm des Farbstoffs. Manch ein Muschelhäufen der Phönizier befindet sich noch heute an der Mittelmeerküste Libanons. Der Name "Phönizier" leitet sich von der griechischen Bezeichnung Phoinikes ab, ein Begriff, der mit dem griechischen Wort für Purpurrot (Phoinix) und für Blutrot (Phoins) im Zusammenhang steht. Das Färben von Stoff mit Hilfe von Purpurschnecken war ein typisch phönizisches Handwerk und eine wichtige Wurzel des vorübergehenden Wohlstands (ca. 1000 bis 300 v.Chr.) in Tyros. Zwei Schneckensorten liefern rote Farbstoffe, eine ein röteres und die andere ein bläuliches. Durch Überlagerung der zwei erhielten die Römer ihr geschätztes Purpurrot, welches zuerst ranghöheren Mitgliedern der Gesellschaft vorenthalten blieb, später nur noch vom Kaiser selbst getragen werden durfte. 1453 beim Niedergang von Konstantinopel im Krieg gegen die Türken verlor sich dar Farbstoff vollkommen; erst 1856 entdeckte man ihn erneut und 1909 erst entschlüsselte man seine Struktur und stellte überrascht fest, dass die Schnecke einen Indigofarbstoff enthält (Dibromoindigo).

Die purpurrote Farbe erinnert an Wohlstand, vielleicht sogar an Überschwang und Dekadenz - kein Pigment für eine Farbe namens Abendrot, vielleicht aber ein roter Wurzelkrapplack oder das Rot der Kermes oder Cochenille Schildläusen? Wurzelkrapplack wurde schon im alten Ägypten eingesetzt. Das kräftige, stark leuchtende rot war eine geschätzte Textil- und Malfarbe. Kermes und Cochenille werden von weiblichen Schildläusen produziert, sie sind der Menschheit auch schon lange bekannt. Eine Extraktion der getrockneten Viecher („Grana“) mit Säure erzeugt leuchtend rote Farben, die vom Campari Orangerot bis zum edlen Karminrot eingestellt werden können. Wie weiss man, dass es Weibchen sind? Sie töten die Männchen nach der Befruchtung, sodass man ab einer gewissen Jahreszeit nur noch weibliche findet. Das Rotpigment aus der Kermesschildlaus ist aber zu wenig lichtecht, es genügt nicht unseren Anforderungen nach Langlebigkeit.

Seit der Mitte des 19.ten Jahrhunderts vermutete man, dass Benzol und Toluol aus Erdöldestillaten hilfreich bei der Herstellung neuer Farbstoffe und Pigmente sein könnten. 1856 baute sich ein Chemiker namens Perkin ein Labor in seinem Gartenhäuschen – er wollte Chinin für pharmazeutische Zwecke herstellen. Das gelang ihm nicht, doch entdeckte er ein malvenfarbenes Anilinpigment, welches er „Mauve“ nannte. Es wurde zum Modehit, der 18-Jahrige Chemiker zum Vorläufer einer Grossindustrie. Weitere Chemiker untersuchten die Ausgangsverbindung Anilin auf weitere Möglichkeiten der Farbengewinnung: Fuchsin, ein Anilinrot, entstand 1859, 1860 entdeckten Chemiker eine Anilinblau- und 1864 eine Anilinpurpursynthese. Neue Firmen entstanden in Deutschland, in der Schweiz, in England und in Frankreich. Die Firmen Ciba und Geigy hatten hier ihre Anfänge, ebenso wie Bayer Leverkusen, BASF (Badische Anilin und Soda Fabrik), agfa (Aktiengesellschaft für Anilinfabrikation), Höchst und ICI in England.

1868 eruierten die Chemiker Graebe und Liebermann zuerst die korrekte Formel des Farbstoffs aus der Krappwurzel, danach fanden sie eine von Teerdestillat ausgehende dreistufige Synthese. 1869 fanden wieder einmal drei Chemiker innerhalb kürzester Zeit eine kostengünstige Herstellmethode für synthetisches Alizarin Krapplack: BASF und der Engländer Perkin reichten mit Abstand von einem Tag ein Patent ein, die Höchst Chemiker waren ein wenig zu langsam. 1870 produzierten diese Firmen insgesamt 40 Tonnen des Alizarins; 1880 waren es bereits 1200 Tonnen. Nun begann die systematische Suche nach neuen, lukrativen Farbstoffen und Pigmenten. Ausserdem untersuchte man die Ausgangsverbindungen auf ihre medizinische Wirkung. In 1897 entstand auf diese Weise Aspirin und ein Farbstoff namens Mercurochrom hat die Welt, nicht als Pigment, sondern als Desinfektionsmittel erobert.

Mit der Entdeckung solcher teilweise bis heute wichtigen Farbpigmente erweiterte sich das erhältliche Farbenspektrum. Fortan wohnte man in erdigen Farben und trug die neuen, bunten. Diese Trennung der Farben in solche, die uns schon lange begleiten und einen engen Bezug zur Natur haben und solche, die modischen Glamour versprechen, findet sich auch in den Farbkonzepten Le Corbusiers wieder. Er rief auf zu diskreten, erdigen Farben, wenn es darum ginge, Atmosphäre zu erzeugen oder das Licht zu führen. Er suchte kräftige, dynamische Farben, sobald es darum ging, starke Effekte und Präsenz im Raum zu entfalten. Mit Lasuren und Mustern schuf er verspielte Effekte, da Lasuren nicht dreidimensional, sondern flächig wirken. Lasierende Pigment, wie Alizarinkrapplack beispielsweise, erfüllten ihm diese Funktion. Es ist durchschimmernd, wie Rotwein.

Im Jahr 1896 entdeckten Chemiker eine neue Gruppe von roten Pigmenten. Diesmal lagen 60 Jahre zwischen der Entdeckung und der Fabrikation. Die Quinacridon Synthese blieb bis 1958 aufwändig und teuer, erst ab 1958 begann die Firma Du Pont mit deren Vermarktung. Die farbstarken und leuchtenden orangerote bis purpurfarbene Quinacridon Pigmente fanden sofort Zustimmung bei den abstrakten Expressionisten in New York. Quinacridon Magenta findet sich heute in nahezu jedem Tintenstrahldrucker, und Versuche in unserem Labor haben gezeigt, dass es, wie das Ultramarinblau von Yves Klein, mächtig färbend auf gegenüberliegende weisse Flächen wirken kann. Die rötliche Abstrahlung wird ganze Räume in eine Sonnenuntergangsstimmung eintauchen – wie Abendrot, eben.

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Katrin Trautwein

Kunsthaus Zug, 2013

¹Philip Ball, (2201). Bright Earth. New York: Farrar, p.12.

²Le Corbusier talks with Students (1999). From the French by Pierre Chase. New York: Princeton Architectural Press, p. 69.

³Philip Ball (2001.) Bright Earth: Art and the Invention of Colour (2001). New York: Farrar, Straus and Giroux, S. 92.

⁴Visha Chander Ohri (2001). The Technique of Pahari Painting. New Delphi : Aryan Books, S. 23.

⁵Philip Ball, S. 241.

⁶Philip Ball, S. 197.

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