Farbkontraste und die Objekterkennung

In meinem letzten Newsletter habe ich den internen Dimmvorgang bzw. die automatische Anpassung an die Raumhelligkeit und die Anpassung an die Lichtfarbe beschrieben. Das waren die ersten beiden Regeln der Raumwahrnehmung. Beide Anpassungsleistungen erzielen die Aufrechterhaltung von guten, augenschonenden Sehbedingungen und dienen der raschen Objekterkennung. In diesem Sinn sind gut gestaltete Räume besonders interessante Objekte, die uns spontan und nachhaltig emotional tief berühren. Sie erfahren in meiner Masterclass Farbe, Licht und Raum® ab Mai, wie Sie mit Farbe die Wirkung Ihrer Architektur prägen.

Zuvor möchte ich hier die weiteren Wahrnehmungsregeln, die den Sehvorgang lenken, mit Ihnen teilen.

Regel 3: Objekte suchen

Unzählige Reflexionen gelangen von allen Oberflächen im Raum auf die Netzhaut. Sich ähnliche Reflexionen bilden Formen und dreidimensionale Objekte. Stellen Sie sich diese Aktivität wie eine aktive Abfrage der Umgebung vor: Ist etwas da? Ist es Teil von etwas Grösserem? Woraus ist es? Bewegt es sich? Ist es wichtig? Dabei erregen Kontraste, also Helligkeits- und Farbunterschiede, unsere Aufmerksamkeit.

Zu viele Kontraste verlangen viel Aufmerksamkeit, wie im Bild zu sehen (Daria Soboleva, AD-Magazine, 2021). Es gibt keinen Blickmittelpunkt, der uns Orientierung bietet. Alles wirkt gleich (un)wichtig.

Gezielt gesetzte, klare Kontraste hingegen, die das Wichtige in den Vordergrund rücken und jeden Überfluss vermeiden, erleichtern uns die Objekterkennung und die rasche Orientierung.

Exkurs: Schönheit, Natürlichkeit und Harmonie

Unser Sehsinn erfasst nicht die Realität, wie sie ist, sondern ihre Gefahren und ihren Nutzen. Ist mir diese Umgebung wohlgesonnen? Unsere spontane, emotionale Reaktion auf einen Raum beantwortet diese Frage intuitiv und prärational. Ich und viele Vertreter einer neueren Strömung der Wahrnehmungsforscher:innen vertreten die These, dass sich unser Sinn für Schönheit und harmonische Zusammenstellungen daraufhin entwickelt hat, uns wohtuende Umgebungen spontan erkennen zu lassen.

Besser: Gemässigte Kontraste aus überzeugenden Materialien. Sie sprechen eine Einladung aus. Unsere Blicke schweifen in die Berge, denn die hellsten Flächen sind im Fenster. Man kann sich gut auf die eigenen Gedanken konzentrieren (Rachel Davies, Architectural Digest, 11.08.2022).

Lassen Sie mich diese Ausführungen mit einem Gegenbeispiel verdeutlichen.

Anstrengende Kontrastarmut: Im Richard-Meier-Kunstmuseum in Barcelona blickt man fast überall in das Gegenlicht. Die Flächen, die alle gleich hell und künstlich sind, halten einen gefangen in einer überdimensionierten, blendenden Umgebung ohne Kontraste und Ausgleich. Die Rauminhalte wirken klein und grau. Foto ©Shutterstock.

Sie können bessere Räume als diesen gestalten! Zuerst darf der Raum nicht überall blendend hell sein, denn unser Sehsinn wird hier zuerst konsequent abblenden. Anschliessend wird das Umfeld auf relevante Objekte abgesucht. Wenn alles aber gleich hell und gleichfarbig ist, bleibt man im Leeren hängen. Verstehen Sie das bitte nicht falsch: Es gibt wunderbare weisse Architekturkonzepte, aber dieses Richard Meier-Objekt scheitert an der Helligkeit, am Pigment und an der Kontrastarmut. Denn die Gesamtheit aller Kontraste führt uns zu einer spontanen Einschätzung des Raumnutzens: Wird es mir hier gut gehen? Die Kontrastlandschaft spricht die Einladung aus, sie löst die Emotionen aus, die sich mit Ihrer Architektur verbinden. Ein einladendes Beispiel haben Sie mit dem Midcentury-Modern Interior gesehen. In meiner Masterclass Farbe, Licht und Raum® zeige ich Ihnen viele weitere Beispiele und überzeugende Farbkonzepte, die Ihre Architektur ins schönste Licht versetzen.

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