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Farbe und Emotion

Foto von Nieuw: Wikipedia/commons/e/e4/Chocoladetruffels_Lindt.JPG

Braun sei die leckerste Farbe: sie erinnere an Schokolade, Kakao, Zimt, Kaffee, Nelken, Nüsse, Krustenbrot usw. Mit ʺaromatischen Brauntönenʺ kreiere man unwiderstehliche Wohlfühlatmosphären. Die Annahme des zitierten Farbforschers ist, dass die Farbe das gute Gefühl hervorbringt und steigert. Trifft das aber zu?

Schokolade auf Schokosplitter und ein Holzwurm auf einer Holzfaserplatte. Man findet den gleichen Braunton in beiden Bildern. Ist braun nun lecker oder nicht? Fotos unter Lizenz von shutterstock.com.

Holzwürmer haben einen ähnlichen Braunton wie halbdunkle Schokolade. Auch gefallene Blätter im Spätherbst und Kuhfladen. Wo bleibt die leckere Wirkung der braunen Farbe? Die Annahme, dass messbare Farbtöne mit definierten Emotionen korreliert werden können, ist offensichtlich falsch.

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Schokolade wirkt lecker. Holzwürmer nicht

Die naheliegende Erklärung lautet: Schokolade wirkt lecker. Der Holzwurm wirkt befremdend. Tatsächlich lösen die Dinge-an-sich Emotionen aus, nicht ihre Farben. Ihr Sehsinn sieht etwas, vergleicht es mit gespeicherten Bildern, erkennt es und empfindet beispielsweise die Freude, die sich in ihrem Gedächtnis mit zartschmelzender Schokolade verbunden hat. Eine ultramarinblaue Rippe Schokolade wäre wiederum befremdend. Sie sehen, dass die braune Farbe zwar nicht die Emotion auslöst, aber irgendwie ist sie doch mit der Schokolade im Gedächtnis verwoben. Das bringt uns zur eigentlichen Frage: Wenn die Farben nicht Emotionen auslösen, was sagen sie uns? Warum sehen wir die Welt in Farben?

Eine seltene Erscheinung

Purple polar aurora seen from Alaska. Photo Jan Curtis, creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0

Die Polarlichter sind wahrhaftig spektakuläre Farberscheinungen der Natur. Sie machen Atome der oberen Erdatmosphäre sichtbar, die sonst nicht in Erscheinung treten. Vom Sonnenwind angeregte Sauerstoff- und Stickstoffatome entladen sich und geben dabei die Polarlichter ab. Weil die Polarlichter so selten sind, wird uns kaum je bewusst, dass wir in jedem wachen Moment solche Entladungsvorgänge sehen! Die Schokolade ist braun, weil sie blaues Licht aufnimmt und braunes Licht abgibt. Wir erkennen die Echtheit der Schokolade an dieser Energieabgabe, die schokoladentypisch ist. So, wie die Polarlichter Entladungsvorgänge zeigen, die für Polarlichter typisch sind.

Ein alltägliches Wunderwerk der Natur

Mineralien. Die verschiedenen Farben zeigen uns molekulare Unterschiede. Farbe offenbart uns die Identität und die Echtheit natürlicher Gegenstände. Foto unter Lizenz von shutterstock.com.

Wir sehen die Entladungsvorgänge der Materie, deren Farbe von ihrer Molekularstruktur abhängig ist. Die Steine in diesem Bild rufen kaum je die Begeisterung hervor, die Polarlichter auslösen, das Wunder ist aber dasselbe! Die Steine unterscheiden sich in ihrer mineralischen Zusammensetzung, sodass wir mit etwas Übung die Steinsorten über ihre Farben erkennen können. Wir sehen die Materie, weil sie im sichtbaren Spektrum Energie abgibt. Das trifft auf Menschen, Wasser, Kieselsteine und Stickstoffatome zu. Wir sehen ihre Energieabgabe und erkennen das Objekt und das Material, aus dem es besteht.

Was ist mit einem schokoladenbraunen Boden aus Vinyl?

Wenn die Energieabgabe zur Form und zur inneren Bildsprache passt – die braune Schokolade, die rosa-schimmernden Quarzsteine, der zartgrüne Jaspis – haben wir die doppelte Freude der raschen Objekterkennung und der neuen Begegnung mit einem schönen oder einem leckeren Objekt. Das ist wunderbar! Und es muss uns zu denken geben. Was, wenn wir die Erscheinungen fälschen? Wie reagieren wir emotional auf einen Boden aus Vinyl, der einen Farbton hat, den wir sonst vom Holz her kennen? Kommt Freude am wohligen Braun auf, oder Verwirrung, oder eine zunehmende Entfremdung von der Materialität der Natur? Sie wissen jetzt, dass keine Freude am wohligen Braun aufkommen kann. So funktioniert der Sehsinn nicht. Die Trennung von Identität und Erscheinung ist eine relativ neue Entwicklung auf der evolutionären Zeitskala. Unser Sehsinn interessiert sich brennend für das Material – für die Sache an sich – und die Oberflächenfarben sind sein wichtigster Informant. Das Thema ist so brisant, dass es einen eigenen Blogbeitrag verdient.

Katrin Trautwein

Tübingen, 2024

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