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Le Corbusiers Farbpalette: Leitfaden für Architektur und Design

Dieser Artikel analysiert die von Le Corbusier gewählten Farben und ihre funktionale Bedeutung. Einige Farbtöne, wie die zahlreichen Lachsfarben, spielen heute eine geringere Rolle als zu Le Corbusiers Zeit. Die Gestaltungsprinzipien und das materialbezogene Farbkonzept, die sich durch die gesamte Skala ziehen, bleiben jedoch zeitlos.

Le Corbusier Architektur war nicht weiß

Le Corbusiers Architektur war nie ausschließlich weiß, sondern ein sorgfältig komponiertes Ensemble farbiger Baukörper. Weiß diente als Basis, wurde aber gezielt durch Farbe ergänzt, um die räumliche Wirkung seiner funktionalistischen Architektur zu verstärken und ihr eine emotionale Dimension zu verleihen. Seine Farbkonzepte waren präzise Inszenierungen von Kontrasten, die die Klarheit und Plastizität seiner weißen Architektur hervorhoben.
Die Strahlkraft der weißen Flächen ergab sich aus ihrer Einbettung in einen Kontext polychromer Flächen. Diese Farbigkeit war kein dekoratives Beiwerk, sondern integraler Bestandteil seines architektonischen Ausdrucks, der den Blick durch die komplexen Raumstrukturen führte. Le Corbusiers Architektur war nicht monochrom, sondern lebte vom Wechselspiel von Licht und Schatten, von Hell und Dunkel, von der Balance zwischen farbigen und unbunten Elementen. Erst in dieser polychromen Umgebung konnte sich ihre volle räumliche Wirkung entfalten.

Welche Farben setzte Le Corbusier ein?

Le Corbusier, der den Einsatz neuer Werkstoffe an anderer Stelle vorantrieb, orientierte sich bei den Farben an einem klassischen Repertoire. Einerseits schrieb er diesen Farben eine universelle, kulturübergreifende und von den Modeströmungen der Zeiten unabhängige Wirkung zu. Andererseits schätzte er die ästhetischen Qualitäten bestimmter Pigmente und wies ihnen unterschiedliche Funktionen zu. Die Namen dieser Pigmente erschienen auf Entwürfen und in Spezifikationen, Kommentare zu ihrer Bedeutung im gestalterischen Repertoire verstreut in verschiedenen Schriften. „Farbe“ war bei Le Corbusier „Pigmentfarbe“ und die gelungene Arbeit mit Farbe und ihrem Raumveränderungspotenzial setzte materialspezifische Kenntnisse der Pigmentwirkungen voraus – Kenntnisse, die sich Le Corbusier mit seiner Malerei systematisch aneignete [1]. Für Le Corbusier war Farbe ein wichtiges Material.
Le Corbusiers Weiß
In jedem Bauwerk erschien ein anderes, zur Umgebung passendes, natürliches Weiß. Le Corbusier wählte ein Weiß aus der jeweiligen Region, um eine Verbindung zur Umgebung zu schaffen. Renovierungen, die heutiges Titanweiß als einziges Weißpigment einsetzen, verfehlen diesen Bezug, den Le Corbusier mit einem natürlichen Weiß erreichte.
Die Schattenfarben Grau und Umbra bis Elfenbeinschwarz
Diese Naturpigmente erschienen in jedem Bauwerk in mehreren Aufhellungen. Die Logik dahinter war, dass dunklere Flächen wenig Licht reflektieren und kaum auffallen. Sie waren die idealen Tarnfarben für enge Raumverhältnisse. Flächen oder ganze Baukörper, die mit Grau- und Umbra-Schattierungen gestaltet waren, überließen hellen und farbigen Elementen den optischen Vortritt, sodass der Blick vom Engen auf die Weite und auf das Schöne gelenkt wurde. Ein Beispiel ist die erdig-rote Rampe in der Villa La Roche, deren Rundung sich vor der grauen Wand emporhob. Was wenig auffallen sollte, erhielt einen kühlgrauen oder einen warmgrauen Anstrich.
Blau bei Le Corbusier
Nach Weiß und den Schattenfarben war Blau die wichtigste Farbe. Das Pigment Ultramarin, dessen optisch aufhellende Wirkung Le Corbusier rühmte, wurde für Flächen im Schatten eingesetzt, um heller zu gestalten. Dunkle Ultramarinblau-Elemente unter dem Dachvorsprung haben die Konturen der Maison Blanche im Abendlicht gezeichnet. Ein dunkelblauer Durchgang zum Mädchenzimmer in der Villa La Roche wirkt trotz Dunkelheit freundlich. Wichtiger noch ließen die dunklen Flächen auf Basis der Pigmente Umbra und Ultramarin die skulpturale Formsprache der Halle wie eine Statue im Vordergrund leuchten. Pariserblau, ein wärmeres Blaupigment, stellte in der Villa La Roche die Verbindung von Flächen im Streiflicht zum Himmel im Außenbereich her. Ultramarin wirkt leicht, während Pariserblau dank Eisenkern schwer wirkt. Tragendes Mauerwerk und Designelemente – Tischbeine, zum Beispiel – waren mit Pariserblau gestaltet, sie sollten tragstabil und nicht luftig wirken. Dachuntersich- ten oder enge Flächen im Schatten haben sich mit Ultramarinaufhellungen luftig-leicht zurückgezogen.
Ocker, Rotocker und die Siena-Erden
Die warmen Erdfarben waren für Le Corbusier aus zwei Gründen von Bedeutung. Erstens, weil sie seit jeher verwendet wurden, warm und wärmend wirken, einen natürlichen Baustoffcharakter besitzen und dadurch vertraut, zeitlos und konstruktiv erscheinen. Zweitens, weil ihre warme, dennoch dezente Wirkung die kühle Klarheit weißer Formen unterstrich. Die weiße Form strahlte vor einer sandigen Ockerfläche wie ein reiner Kristall.
Le Corbusiers grüne Farben
Auch hier bestimmte die Funktion den Farbeinsatz. Lackierte Flächen erhielten das dunkelgrüne Farbe 26KT040 Vert noir, denn Le Corbusier schätzte das British Racing Green als Lackfarbe. Flächen, die sich mit der umgebenden Vegetation verbinden sollten, wurden mit heller Veronesererde oder Kalk mit Englischgrün gestrichen. Beispiele hierfür sind die Dachgärten der Weißenhofsiedlung, der Sockel der Villa Savoye und Mauern in der Arbeitersiedlung in Pessac. Die Farbe 32KT042 Vert Véronèse clair war allgegenwärtig als Brücke zur Natur.
Künstliche, stark intensive Pigmente
Zinnoberrot, Karmin, Gelb, Olivgrün oder Chromorange setzte Le Corbusier nur vereinzelt ein – als lebendige, kontraststeigernde, jedoch nicht strukturtragende Elemente.

Farbe als Materialentscheidung

Le Corbusiers Ansatz wird missverstanden, wenn seine spezifische Polychromie auf moderne industrielle Anwendungen übertragen wird, die nicht auf denselben künstlerischen Pigmenten basieren. Seine Definition der Raum- und Wandfunktion durch die atmospärische Wechselwirkung zwischen Licht und Farbe funktioniert nur mit den richtigen Pigmenten. Man verfälscht seine Ideen mit der Übersetzung seiner Farbpalette zu standardisierten Farbtönen. Lichtschalter, Uhren oder Wandfarben aus industriellen, synthetischen Farbkonzentraten entsprechen nicht seinem ursprünglichen Konzept, das sich auf die feine Abstimmung von Pigmenten im Zusammenspiel mit Licht und Materialität stützte. Für Le Corbusier war eine Umbra-Erde eine bewusste Materialentscheidung – ebenso wie Stahl oder Holz. Seine Entwürfe trugen Pigmentnamen als funktionale Elemente seiner architektonischen Vision. Eine Tabelle in Arthur Rüeggs monumentalem Werk über Le Corbusiers Polychromie führt die Pigmente auf, die wir auf Le Corbusiers „Ölfarbe auf Rollen“ vorfanden [3]. Farbe war keine dekorative Entscheidung, sondern essenzieller Bestandteil des gestalterischen Konzepts. Die Farben nach Befund aus diesen designierten Pigmenten werden von der von mir gegründeten Firma kt.COLOR hergestellt [2]. Sie sind zeitlose Klassiker, geprägt von ausdrucksstarken Pigmenten, die in jedem Baustil ihre Wirkung entfalten.
Katrin Trautwein
Uster, 24. Februar 2025

Anmerkungen

[1] Für ein Kompendium aller Textstellen in Le Corbusiers Schriften, die Farben oder Farbkonzepte erwähnen, siehe: Jan de Heer, 2009: The Architectonic Colour: Polychromy in the Purist Architecture of Le Corbusier. 010 Publishers, Rotterdam.
[2] Die Pigmente der Salubra-Tapetenfarben von Le Corbusier nach mikrochemischen und mikroskopischen Untersuchungen sind dokumentiert in: Arthur Rüegg (Ed.), 2016: Le Corbusier: Polychromie architecturale: Farbenklaviaturen von 1931 und 1959, 3rd revised edition. Birkhäuser, Basel, S. 180. Die Farben im Buch sind die Originalfarben von kt.COLOR. Das Buch kann über kt.COLOR bezogen werden.
[3] Die Farbstreifen sind RGB-Annäherungen an Farben von Wandproben aus Le Corbusiers Baukunst sowie an Salubra-Le-Corbusier-Tapetenproben von 1931 und 1959. Die Originale befinden sich im kt.COLOR Archiv in Uster. Die Analysen wurden zwischen 1999 und 2012 unter der Leitung von Dr. Katrin Trautwein, der Gründerin von kt.COLOR, durchgeführt. Die Ergebnisse wurden von der Fondation Le Corbusier in Paris bestätigt. Die Farben in der Villa La Roche und in der Maison Blanche entsprechen den von kt.COLOR nach Befund hergestellten Farben.