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Die Macht der Farben

Teil 3: Von der Liebe zum Echten

Unser Sehsinn ist darauf spezialisiert, den Unterschied zwischen bekannten Objekten und Imitationen ohne bewusste Anstrengung zu erkennen. Das gelingt uns, weil der Sehsinn Farben liest, aber Objekte und ihre Bedeutung erkennt. Farben dienen der Objekterkennung. Darum ist die Echtheit der Oberflächen für die emotionale Beziehung zu Objekten und Räumen sogar wichtiger als der Farbton.

In der Natur

Die Objekte der Natur sind für uns einfach zu erkennen. Unser Sehsinn hat sich im Verlaufe der Evolution darauf spezialisiert, die Lichtreflexionen von natürlichen Materialoberflächen richtig zu deuten. Egal ob Sandkorn oder Granitfels, Wolke oder Wasser – man muss nicht zweimal hinsehen, um zu erkennen, was etwas ist. Mit der Kunst der Tarnung (Eng.: camouflage) ändert sich das im Pflanzen- und Tierreich.

Nestende Eiderente, die so gut getarnt ist, dass man sie fast nicht sieht.

Die Anpassung ihrer Oberflächen an die Umgebung ist eine erfolgreiche Schutzstrategie vieler Lebewesen. Neben dieser Tarnung besteht in der Natur sonst keine Diskrepanz zwischen Ding und Erscheinung.

Die Wandmalerei der Architektur der Antike beruhte auf natürlichen Pigmenten. Eine natürliche Farbe auf einem Naturmaterial – auf einer Höhlenwand oder einem Kalkfresko, beispielsweise – stellt keine Herausforderung für die Objekterkennung dar.

Die Kultur der Reichen imitieren

Das Pigment Falunrot wurde im Mittelalter aus dem Abraum des Kupferbergbaus in Schweden gewonnen. Es war ab dem 16. Jahrhundert als Aussenanstrich beliebt, da es den Schwedischen Holzhäusern eine Farbe gab, die an die Backsteinbauten wohlhabender Mitteleuropäer erinnerte. Die Oberfläche sollte angeblich deren Reichtum vortäuschen. Jedenfalls liess die Farbe aus Eisenoxid und Kupfervitriol, Roggenkleister und Leinöl die Holz- oder die Mauerwerkkonstruktion durchschimmern – für die rasche Konstruktionserkennung also keine Herausforderung.

Karungi railway station, Sweden, photo by Teemu Vehkaoja, CC-BY-SA 2.5, 2006

Die Wunder der Industrialisierung

Mit der Industrialisierung hat sich die Schlichtheit der Rezepturen und die Naturverbundenheit der Materialien innert kürzester Zeit zugunsten erdölabhängigen Rohstoffen verlagert. Nicht nur in der Nahrungsmittelbranche haben wir uns von den natürlichen Zutaten entfremdet, die uns am gesündesten halten würden! Auch bei den Farben haben neue, hoch verarbeitete, energetisch aufwändige hergestellte Beschichtungsstoffe bunte Fassaden und Innenräume geschaffen, die das Licht komplett anders reflektieren als die vertrauten Rohstoffe der Natur.

Burano, Foto Beat Hotz. Die Petrochemie und die Individualisierung reichen sich die Hand und erzeugen neue Stadtbilder.

Ist es wichtig?

Wir haben es heute oft mit drei getrennten Erzählungen von ein und derselben Wirklichkeit zu tun: Unser Sehsinn reagiert auf die Oberfläche, die heute fast immer künstlich ist. Der Inhalt, der sich dahinter verbirgt, entzieht sich oft unserer Kenntnis. Unsere Kaufentscheide beruhen auf Werbung und Branding, die uns emotional berühren sollen. Nachdem die Geschichte verblasst, die Architektur gestrichen und die Flächen im Licht stehen, sind es die Räume selbst, die Emotionen auslösen. Ich vermute, dass die vielen Widersprüche, die sich zwischen diesen echten Emotionen und den versprochenen ergeben, Bestandteil der grossen Verunsicherung sind, die wir zurzeit erleben.

Worauf kann man sich verlassen?

Bergwelt. Fotos unter Lizenz von shutterstock.com.

Frank Lloyd Wright schrieb: ʺStudy nature, love nature, stay close to nature. It will never fail you." Tatsächlich sind die Momente der Ehrfurcht, die wir in der Natur empfinden, Hinweise auf unsere sagenhaft gute, evolutionäre Einstimmung auf die Farb-, Licht- und Kompositionseffekte der Natur. Wenn wir auf dieser Spur bleiben und die Harmonieprinzipien der Natur besser verstehen, gestalten wir wohltuende Umgebungen aus Rohstoffen, die eine bessere Umweltbilanz haben. Solche Umgebungen wirken zwangsläufig echt und darum schöner.

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